Egidio Marzona
Egidio Marzona wurde 1944 in Bielefeld als Kind einer Unternehmerfamilie geboren.
Seine Haltung als Sammler ist stark vom Kunstbegriff der 1960er Jahre geprägt, das heißt seine Sammeltätigkeit folgt einem nicht hierarchischen Ansatz. Seine Aufmerksamkeit gilt damit nicht nur dem einzelnen Kunstwerk. Ebenso interessiert er sich für das Umfeld von Künstler*innen, den künstlerischen Prozess und die dabei anfallenden Informationen und Materialien im Kontext der Avantgarden des 20. Jahrhunderts.
Erste künstlerische Arbeiten erwarb Egidio Marzona ab den späten 1960er Jahren, mit Werken der Konzeptkunst, Arte Povera und Minimal Art – von Künstler*innen wie Robert Ryman, Carl Andre, Bruce Naumann, Charlotte Posenenske, Hanne Darboven, Giovanni Anselmo, Giuseppe Penone und Jannis Kounellis. In dieser Zeit wurde der Galerist Konrad Fischer zum wichtigsten Kooperationspartner. Er ermöglichte dem Sammler, mit den Künstler*innen in einen persönlichen Dialog zu treten. Weitere Galerien, die Egidio Marzona in dieser Zeit unter anderem besuchte, waren Rolf Ricke, Marilena Bonomo, Massimo Minini, Gian Enzo Sperone, Franco Toselli und Ileana Sonnabend.
Darüber hinaus wurde Egidio Marzona stark von Heinz Rasch beeinflusst, einem Architekten und Kunstsammler, der unter anderem in den 1920er Jahren für die Stuttgarter Weißenhof-Siedlung tätig war und sein Mentor wurde. 1972 eröffnete Egidio Marzona in Bielefeld eine eigene Galerie, die er 1977 schloss, um sich ganz seinem 1973 gegründeten Verlag „Edition Marzona“ zu widmen. Seine ersten Bücher widmete er unter anderem dem großen Thema „Bauhaus“ und dem bis dahin wenig erschlossenen künstlerischen Umfeld. Im Rahmen der Erarbeitung seiner Publikationen führte Egidio Marzona intensive Recherchen durch und trug eine Fülle an Kunstwerken, Originaldokumenten, Ephemera, Designobjekten, Zeichnungen, Plakaten, Architekturplänen und -modellen aus den unterschiedlichsten Strömungen der Avantgarden des 20. Jahrhunderts zusammen.
Orientiert am Buch „Die Kunstismen 1914–1924“ (1925, von Hans Arp und El Lissitzky), strukturierte er seine Sammlung nun nach Ismen – wie Dadaismus, Futurismus, Konstruktivismus und Surrealismus. In den Bereichen Design, Architektur und künstlerische Lehre sammelte er unter anderem zu Jugendstil, Werkbund und Bauhaus und zur Hochschule für Gestaltung Ulm. Des Weiteren sammelte Egidio Marzona Kunst, Design und Architektur aus der Zeit nach 1945 bis ca. 1990, inklusive Dokumente und Werke poetischer und utopistischer Bewegungen, wie Situationismus und Fluxus und in angewandter Kunst und künstlerischer Lehre zur architektonischen Postmoderne, zu italienischem Design, dem Black Mountain College und anderen Themen.
Die so entstandene, heterogene Sammlung von Materialien aus Bildender Kunst, Film, Literatur, Philosophie, Politik, Musik, Tanz und Performance, Design und Architektur begann Egidio Marzona nach Beendigung seiner verlegerischen Tätigkeit zu ordnen und durch weitere eigene Recherchen und gezielte Ankäufe systematisch zu ergänzen. Konzentriert auf größtmögliche Vollständigkeit der historischen Kontexte und das Bewahren wichtiger Informationen, nahm er auch Archive und Sammlungen bestimmter Protagonist*innen und Chronist*innen der Avantgarden in seine Sammlung mit auf.
Die Sammlungsgeschichte des Archivs der Avantgarden – Egidio Marzona (ADA) wird seit 2020 von Monika Branicka und Pirkko Rathgeber im Oral History Archiv in Form von Interview-Videos mit Zeitzeug*innen und Protagonist*innen des ADA dokumentiert.
2002 und erneut 2014 entschied Egidio Marzona, seine Kunstsammlung und ergänzende Dokumente zu Minimal und Conceptual Art sowie zu Arte Povera den Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu überlassen. Im Sommer 2016 gab Egidio Marzona bekannt, weitere umfangreiche Teile seiner Sammlung zu Vor- und Nachkriegsavantgarden des 20. Jahrhunderts den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu stiften. Der Schenkungsvertrag wurde am 6. Dezember 2016 unterzeichnet.
Gezielte Recherchen zu Strukturen und Beständen des Archivs der Avantgarden können über folgenden Link unternommen werden: